Letztens hat uns meine 11-Jährige mit einem Schokokuchen verwöhnt.

Sie ist eine begeisterte Konditorin und liebt es, Kuchen zu rühren und zu backen. Es war das erste Mal, dass ich sie ganz alleine alles machen ließ.

Das einzige, was ich von ihr wollte, war, dass sie mir, bevor sie die Zutaten zusammenmengt, noch einmal sagt, in welcher Reihenfolge sie diese zusammenmixen wird. Denn eines ist bei der Schokotorte der Familie Lindner schon immer Gesetz gewesen: Butter und Zucker, dann Eier, dann Schoko, dann Mehl und Milch. Zuletzt Schnee.

Sie macht alles sehr souverän. Die Handgriffe sitzen und ich gehe kurz aus der Küche, um eine Freundin anzurufen.

Als ich zurückkomme befindet sich in der Rührschüssel eine ausgeflockte gelbe Masse.

Oh mein Gott, zischt es mir durchs Gehirn – alles kaputt.

Die schönen Zutaten!!! Und schon höre ich mich wütend stampfen und schimpfen, dass ich mich furchtbar ärgere, weil ich doch gesagt habe, sie solle mir bevor sie etwas tut die “Lindnersche Zutatenvermischungsreihenfolge” nochmals fehlerlos aufsagen.

Mit wässrigen Augen sieht sie mich an. Ganz erschüttert von meinem Ausbruch. Was sie denn nur getan habe? Sie hat Butter und Milch verrührt!!! Und das bindet einfach in keinster Weise und flockt!
Sie hatte das Gesetz der tradierten Lindner-Zutatenvermengungsreihenfolge gebrochen!

Und DAS ist schließlich altes Familiengesetz, dies zu brechen wirklich fast unerträglich für mich!

Ich sehe meine Tochter an und plötzlich fährt es mir durch den Körper: Silvia, schau dich mal an! Ist es das wirklich wert! Kann es sein, dass du die Euphorie deiner Tochter so kaputtierst, weil sie etwas anders macht???

Mir wird bewusst, wie blöd das ist!
Es ist mir einfach passiert.

Ich besinne mich! Ich nehme Gas raus. Ich drücke sie her und sage: “Sophie es tut mir Leid! Komm, lass uns versuchen da noch was draus zu machen.”

Wir rühren und mixen und die Spannung ist noch zu spüren! Wird das wohl noch was werden?

Und wisst ihr was? Es ist der beste Kuchen seit Lindner-Schokokuchen-Gedenken geworden. Und wisst ihr warum? Weil er mich hat wachsen lassen. Dieser einfache, kleine Kuchen. Gemeinsam mit meiner 11-jährigen Tochter.

Denn als wir den Kuchen neugierig anschneiden, sagt sie lächelnd: “Siehst du Mama, du musst wirklich endlich damit aufhören, immer alles gleich zu machen! Probier doch einfach mal was Neues aus. Du siehst ja: es funktioniert!”

Und ich schaue sie an und gehe innerlich in die Knie vor Hochachtung vor dieser Größe. Und natürlich sage ich es ihr auch.

Denn sie hat Recht! Ich sollte dringend mal den Mut aufbringen, die einzementierten Gesetze der Ahnen zu sprengen und mutig sein die Dinge anders zu machen. Es kann doch nicht sein, dass wir diese höher achten als die Integrität unserer Kinder!

 

Macht auch ihr mit beim Sprengen

• der “Zimmer-und-Bodenaufräum”-Tradition?

• der “Immer-und-um-jeden-Preis-die-Hausübung-machen-auch-wenn-das-Kind-schon-voll-müde-ist”-Tradition?

• der “Mach-dich-im-Wald-nicht-schmutzig”-Tradition?

• der “Geh-im-Herbstregen-nicht-raus-du-verkühlst-dich”-Tradition?

• der “Mit-nassen-Haaren-bekommst-du-einen-Schnupfen”-Tradition?

• der “Du-kommst-zu-spät-in-die-Schule”-Tradition?

 

Welche Traditionen kennst du denn sonst noch so? Und vor allem: Bist du bereit, diese zu hinterfragen und zum Wohle deiner selbst und deiner Mitmenschen zu brechen?

 

Herzlichst, Deine
Silvia

P.S.: Mehr Geschichten, die das Leben schreibt findest du hier!